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AutorenbildOlivia Alig

Tracking+Parenting=? Eine nicht nur rechtliche Beurteilung

Aktualisiert: 14. März

Beitrag über das technische Überwachen von Kindern durch ihre Eltern von Olivia Alig, Rechtsanwältin & Mediatorin, Frankfurt am Main


Über sogenannte „Helikopter“-Eltern ist bereits viel geschrieben worden, auch darüber, was dies entwicklungspsychologisch mit Kindern machen kann. Auf der anderen Seite haben Eltern die Aufsichtspflicht gegenüber ihren Kindern. Diese ist zwischen Überfürsorge und deutlich abgrenzend zur Vernachlässigung sowie zwischen Freiheit und Kontrolle zu verorten. Technische Errungenschaften, wie das „Tracking“ können Eltern bei der Ausübung der Aufsichtspflicht und Fürsorge gegenüber ihren Kindern helfen. Inhalt dieses Beitrages ist die rechtliche Beurteilung und das, was darüber hinaus zu beachten ist. Zudem ist zu bedenken, ob sich das Phänomen ausschließlich rechtlich beurteilen lässt.

Tracking durch Eltern, ein Beitrag von Olivia Alig, Rechtsanwältin & Mediatorin, Frankfurt am Main

„Tracking“, Kinder an der langen oder kurzen Leine lassen, stets den Rundumblick behalten? In alle Richtungen …?


Um was geht es?


Wenn Eltern mit technischen Hilfsmitteln den Aufenthaltsort ihre Kinder überwachen, spricht man von „Tracking“. Dies geschieht z.B. durch Handy-Ortung, Verwendung von Tags oder GPS-Sendern. Grundsätzlich haben Eltern im Rahmen der Personensorge (§ 1626 BGB) die Aufsichtspflicht und für das Kindeswohl zu sorgen (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Nur im Fall einer etwaigen Kindeswohlgefährdung ist der Staat verpflichtet einzugreifen (sogenanntes „Wächteramt“, Art. 6 Abs.2 S. 2, Abs. 3 GG). Der Staat hat zudem die Kinderrechte umzusetzen (Art. 4 UN-KRK). Dies umfasst Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen. Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) hat in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes (gemäß Art. 25, 59 Abs. 2 GG). So wurde beispielsweise aufgrund dessen das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung in das Familienrecht aufgenommen (§ 1631 BGB). Kinderrechte haben damit auch indirekt Einfluss auf das Erziehungsrecht bzw. -pflicht der Eltern, die zusätzlich die Grundrechte ihrer Kinder und den Datenschutz zu beachten haben.


Das Thema „Tracking“ berührt damit, wie viele andere medien- & jugendschutzrechtliche Themen, zahlreiche Rechtsgebiete.


1. Grundgesetz (GG)


Im Rahmen der Erziehung und der Pflicht zur Verwirklichung des Kindeswohls müssen Eltern die Grundrechte ihrer Kinder beachten (sogenannte mittelbare Drittwirkung). Gemäß Art. 1, 2 GG sind u.a. das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Recht auf Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung geschützt. Kinder sind unstreitig Grundrechtsträger. Die Grundrechte gehören wie die Erfüllung der Grundbedürfnisse zum Kindeswohl. Da Eltern dafür zuständig sind, lassen sich damit Argumente für, als auch gegen das Tracking der Kinder finden. Eltern könnten anführen, gerade für den Schutz der Kinder (Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, etc.) diese zu „tracken“, also zu überwachen. Eltern sind verpflichtet, Risiken entsprechend zu begegnen und im Sinne des individuellen Kindeswohls eine Entscheidung zu treffen. - Wie immer macht jedoch „die Dosis das Gift“. Wenn Kinder auf Schritt und Tritt überwacht werden, können sie keine eigenen Erfahrungen machen, so dass ihre Freiheit und Persönlichkeitsentwicklung Schaden nehmen könnten.


Eltern sollte es zumindest bewusst sein, dass das „Tracking“ gewichtige, verfassungsrechtlich geschützte Rechte ihrer Kinder berührt, welche sie treuhänderisch für sie wahrnehmen (müssen).


2. Datenschutz (DSGVO)


Eltern sollten ferner bedenken, dass sie mit Tracking-Tools auch personenbezogene Daten ihrer Kinder an die Anbieter übermitteln. Was diese, je nach genutzter Technik und Zweck des Unternehmens, mit den Daten anfangen, ist nicht abschließend zu beurteilen. Nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 DSGVO ist eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten nur rechtmäßig, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung zur Verarbeitung gegeben hat. Kinder werden von ihren Eltern vertreten (§ 1629 BGB). Sie müssen bei der gemeinsamen Sorge (auch im Trennungsfall) dann gemeinsam, einvernehmlich für das Kind entscheiden. Es spricht vieles dafür, dass wie im Bereich Sharenting (Veröffentlichung von Kinderbildern durch Eltern), davon auszugehen ist, dass im Familienrecht die Einwilligung in die Nutzung der personenbezogenen Daten eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung ist (§§ 1628, 1687 BGB). Zudem könnte nach der Rechtsprechung auch von einer sogenannten „Doppelzuständigkeit“ der Kinder auszugehen sein, so dass sie, je nach Einsichtsfähigkeit und Alter, in das „Tracking“ einwilligen müssen (§§ 104ff, 828 BGB entsprechend).


3. Kinderrechte


Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) stellt die Kinder und Jugendliche als „Subjekte“ in den Mittelpunkt der Beurteilung, weg vom paternalistischen Zugriff der Fragestellung, „Was könnte dem Kind guttuen (ohne es zu fragen)?“ Dies macht Art. 3 UN-KRK deutlich, wenn die englische Originalfassung zugrunde gelegt wird. Aus der fehlerhaften deutschen Übersetzung „Kindeswohl“ wird dann das „Kindesinteresse“ (Wohl + Wille) – „best interests of the child“. Auch die EU-Grundrechtecharta sieht in Art. 24 (Rechte des Kindes) den Begriff des Kindesinteresses als vorrangige Erwägung vor.


Kinder haben gemäß der UN-KRK das Recht auf elterliche Fürsorge (Art. 5, 18 UN-KRK), daneben auch auf Privatsphäre und Ehre sowie das (informationelle) Selbstbestimmungsrecht (Art. 3, 8, 16 UN-KRK).


Die UN-KRK richtet sich an die Vertragsstaaten, also an den deutschen Staat und damit an alle drei Gewalten (Exekutive, Legislative und Judikative). D.h. der Staat hat u.a. zu überwachen, welcher Technikeinsatz zu einer Kindeswohlgefährdung führen könnte. Dieser Pflicht ist die Bundesnetzagentur beispielsweise durch die Verbote und der Vernichtungsanordnungen bzgl. der „smarten“ Puppe „My friend Cayla" und Kinderuhren mit Abhörfunktion nachgekommen. Es hatte sich dabei um rechtswidrige, versteckte Spionagegeräte gehandelt. D.h. abhören dürfen Eltern ihre Kinder nicht!


Die UN-KRK sieht jedoch nicht nur Schutzrechte vor, sondern auch Förder- & Beteiligungsrechte der Kinder (Art. 12, 17 UN-KRK). D.h. Kinder sind zumindest anzuhören, in Angelegenheiten, die sie betreffen.


4. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)


Das Beteiligungsrecht der Kinder gemäß der UN-KRK wird im Familienrecht beispielsweise mit § 1626 Abs. 2 BGB verwirklicht. Der genaue Wortlaut sagt:


„Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.“


Kinder sind also in die Erziehungsentscheidungen je nach Fähigkeit, Bedürfnis, Entwicklungsstand und nach Alter mit einzubeziehen. Es soll Einvernehmen mit ihnen angestrebt werden. Eltern sollten daher ihre Kinder bzgl. des „Ob“ und „Wie“ des „Trackings“ nicht nur informieren, sondern auch beteiligen. Dann könnte das Kind, auch im Vertrauen auf seine Eltern, selbständig einwilligen.


Die Aufsichtspflicht der Eltern umfasst grundsätzlich die Pflicht, dass sie wissen müssen, wo ihr Kind sich aufhält und was es tut. Ihr Kind soll dadurch vor Gefahren und Dritte und deren Eigentum geschützt werden. Im Fall der Aufsichtspflichtverletzung können nämlich Schadensersatzansprüche entstehen. Wann eine Verletzung dieser Aufsichtspflicht vorliegt, kann nicht abstrakt und pauschal beantwortet werden. Dies hängt in der Regel vom individuellen Kind, der Umgebung bzw. konkreten Situation ab. Jeden Tag sind solche schwierigen Aufgaben von Eltern, auch zu anderen Themen zu lösen.


5. Güterabwägung/Verhältnismäßigkeit


Eltern sollen neben der Beaufsichtigung ihre Kinder diese auch zu selbstständigem und verantwortungsbewusstem Handeln erziehen. Erziehung ist dabei einem ständigen Wandel unterworfen. Die Erziehungsverantwortung bewegt sich zwischen Kontrolle und Loslassen sowie Freiheit und Selbstständigkeit der Kinder. Das „Tracking“ von Kindern durch ihre Eltern befindet sich genau in diesem Spannungsverhältnis.


Letztlich stehen sich die Elternrechte und -pflichten sowie die Rechte der Kinder gegenüber, wobei die Eltern die Verantwortungsträger sind, die die Rechte der Kinder treuhänderisch wahrnehmen. Sie haben die Aufsichtspflicht und sind für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich. Wie bereits ausgeführt, jedoch an dieser Stelle nochmals betont, sind durch das „Tracking“ der Kinder, gewichtige Rechte und Freiheiten dieser betroffen.

Das Erziehungsrecht ist ein pflichtgebundenes Recht. Eltern müssen damit aus ihrem Erziehungsauftrag heraus selbst eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung machen. – Dies beinhaltet, dass das Schutzanliegen mit den Freiheitsrechten, insbesondere dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Entwicklung ihrer Kindern in Einklang gebracht und miteinander abgewogen werden muss.


6. Mediativer Ansatz


Mein Zwischenfazit beim Thema „Tracken von Kindern“ ist, dass Eltern mit ihren Kindern in den Dialog treten, mindestens den Einsatz der (zulässigen) Technik transparent machen müssen. Jede Familie sollte dabei gemeinsam eine eigene, für sie passende Lösung finden.


Im Rahmen einer Familienmediation würde man die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse gemeinsam ermitteln und das gegenseitige Verstehen fördern. Die Familie könnte dann ihre individuelle Lösung finden, nämlich wie das Kontroll- und Schutzinteresse der Eltern mit dem Autonomie- und Freiheitsbestreben des Kindes in Einklang gebracht werden kann.


Vielleicht ist das Kind, wenn es denn gefragt wird, auch froh, dass es seine Eltern quasi virtuell an seiner Seite hat, wenn es selbständig unterwegs ist. Ggf. gibt es ihm Sicherheit, wenn die Eltern wissen, wo es sich aufhält und traut sich dann mehr zu. Vielleicht gibt es dem Kind auch mehr Freiheiten, sich „weiter“ von den Eltern zu entfernen, länger wegzubleiben etc. Im Gegenzug möchte es vielleicht sogar wissen, wo sich seine Eltern aufhalten. – Im konsensualen Gespräch der Familie könnte als Ergebnis auch das gegenseitiges „Tracken“ der gesamten Familie stehen … ob dies stets im Sinne der Eltern wäre, sei dahingestellt …


Fazit: Grundsätzlich haben Eltern das Recht dazu, ihre Kinder mit technischen Mitteln zu überwachen, also zu „tracken“ unter angemessener Berücksichtigung ihrer Grundrechte, des Datenschutzes und des Kindesinteresse (Wohl & Wille). Kinder sind jedoch in die „Tracking“-Entscheidung miteinzubeziehen und mindestens zu informieren. Der Staat muss im konkreten Einzelfall überwachen, ob bei bestimmten „Tracking-Tools“ nicht die Grenze des Erlaubten überschritten wird, insbesondere, dass keine unerlaubten Abhörgeräte im und außerhalb des Kinderzimmers eingesetzt werden. Diese Geräte sind dann entsprechend zu verbieten.


Allein mit einem formalen Rechtsergebnis lässt sich jedoch nicht das Familienleben gestalten.


Beim Thema „Tracking“ handelt es sich um ein gewichtiges Thema, das einen Aushandlungsprozess notwendig macht. Neue technische Möglichkeiten haben immer wieder entscheidenden Einfluss auf die Familie. Diese bergen Risiken, jedoch auch Chancen, die innerhalb der Familien, wie auch gesellschaftspolitisch diskutiert werden müssen.

Unter Anerkennung der jeweiligen Rechte, Interessen und eines Verstehensprozesses miteinander können wir diesen Herausforderungen innerhalb und außerhalb der Familie vertrauensvoll gerecht werden. – Dazu sollten wir alle ins Gespräch kommen …


Die Lösung der Eingangsfrage könnte also lauten:


Tracking + Parenting = Negotiation.



Zum Weiterlesen:


Im Rahmen eines Projektes #Kinderrechte digital leben!“ des Kinderschutzbundes LV Thüringen e.V. habe ich mich erneut mit diesem Thema beschäftigt, siehe:

Die Aktion „Darf ich mein Kind tracken? Eine rechtliche Einordnung“ beantwortet Fragen aus der Community des Projektes auf Instagram und Facebook. - Das Thema zeigt, dass Erziehung in digitalen Zeiten mehr denn je eines Aushandlungsprozesses bedarf, in dem die Interessen aller Beteiligten (wie in einer Mediation) berücksichtigt werden müssen, dies im Kontext von Schutz-, Förder- & Beteiligungsrechte nach der UN-KRK und dem General Comment No. 25 (on children’s rights in relation to the digital environment).


Bei weiterem Interesse am Thema Kinder- & Jugendmedienschutz siehe den Fachartikel: *Alig, Olivia, Sharenting, Mama-Blogger, Kinderinfluencer & Co,

Eine rechtliche Betrachtung, BPJMAktuell 4/2021, S. 9 ff


Olivia Alig, Rechtsanwältin & Mediatorin, www.medienanwaeltin.de

Mittelweg 43 VH D-60318 Frankfurt Tel.:+49(0)69/66 16 97 -36 | Fax: -37

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